NZZ-Preis Gewinnerin Gina Brucker (EMBA 58): «Wir brauchen Freiraum für disruptives Denken!»

Gina, wie geht es Dir – jetzt einige Wochen nach der emotionalen Abschussfeier und der Verleihung des NZZ-Preises?

Auch rückblickend kann ich sagen, dass der NZZ-Preis für mich eine grosse Überraschung war – ich hatte wirklich nicht damit gerechnet. Es ist eine unglaubliche Ehre und grosse Auszeichnung! Daniela Decurtins hat es auch in ihrer Ansprache an der Graduation gesagt, wie intensiv die Abschlussarbeit ist. Man investiert so viel extra Zeit, arbeitet Wochenende um Wochenende durch. Ich bin daher wirklich sehr stolz auf meine Arbeit und die Auszeichnung.

Die EMBA-Zeit war eine intensive; das gilt ganz speziell für die Abschlussarbeit, aber natürlich auch für das Studium allgemein. Das was wir in der Covid-Zeit erlebt und durchlebt haben, war eine grosse Herausforderung. Auch innerhalb unserem Klassenzug hat man das gemerkt, wir haben uns erst einmal finden müssen. Dies turbulente Zeit klingt noch nach und wird sicherlich auch noch eine Weile nachklingen.

Du sprichst es an; die Abschlussarbeit neben dem EMBA-Studium und dem Job zu schreiben, ist schon sehr intensiv. Für Dich fiel dies auch noch zusätzlich in die Pandemie-Zeit. Wie war das für Dich und wie hat es Deine Arbeit beeinflusst?

Für mich persönlich war das keine grosse Veränderung, ich habe hundert Prozent durchgearbeitet. Im Gesundheitsbereich, in dem ich tätig bin, hat die Pandemie eher zu mehr als zu weniger Arbeit geführt. Entsprechend waren die Wochenenden umso intensiver. Zudem habe ich Ferienwochen genommen, in denen der Fokus auf der Abschlussarbeit lag. Dort bin ich dann bewusst weggegangen, in ein Air BnB im Tessin oder im Wallis, um mich zum einen auf das Schreiben zu fokussieren und zum anderen vom Alltag zu erholen.

Das Thema Covid war beruflich in der Zeit so einnehmend, dass ich nicht mal abends noch eine halbe Stunde Zeit hatte, etwas anderes zu machen. Für mich war das der effizienteste Weg, sonst wäre ich nicht in das Thema reingekommen.

Du bist ausgezeichnet worden für Deine Arbeit «Smart Employee – die Basis der Smart City?» – wie ist das Thema entstanden?

Für mich war dieses spezielle Thema nicht von vorneherein klar. Klar war sehr wohl, dass ich etwas in meinem Arbeitsumfeld machen wollte. Ich habe mit der Stadt Uster zusammengesessen und das Thema Digitalisierung war sehr präsent. Der zweite Teil der Themenfindung hat sich durch die Kurse an der HSG ergeben.

Meinen Betreuer Oliver Gassmann habe ich gefunden, indem ich sein Buch zu Smart City gelesen habe. Dabei bin ich bei der Frage hängen geblieben, wo in seinem Modell die Mitarbeitenden geblieben sind. Dies konnte ich unkompliziert mit Oliver auseinandersetzen, denn für mich war klar, dass ich die Mitarbeitenden in den Fokus stellen möchte. So entstand mein Thema. Darauf aufbauend habe ich sehr spannende Diskussionen mit Oliver geführt, der eigentlich aus dem Technologiemanagement kommt und einen ganz anderen Blickwinkel hat. Das war für mich mit dem HR-Hintergrund unglaublich bereichernd und so hat sich die Arbeit entwickelt.

Die Jury des NZZ-Preises hat besonders den Praxisbezug Deiner Arbeit hervorgehoben – was macht den Smart Employee aus?

Das ist eine super Frage. Eigentlich gibt es den perfekten Smart Employee nicht. Es ist vielmehr der Weg dorthin, dass die Leute smart denken. Aber – und das ist ganz wichtig – smart denken ist für jeden etwas anderes. Eine Lernende denkt anders smart als eine Managerin. Der Input von beiden ins System ist sehr wichtig. Und um das umzusetzen, sollte das System bzw. die Organisation bereit sein, das smarte Denken zu entwickeln.

Wir brauchen Freiraum fürs disruptive Denken. Und das fehlt in vielen Organisationen, nicht nur in Verwaltungen. Zunächst müssen wir das in den Organisationen ermöglichen und dann braucht es den Wissenstransfer. Will heissen, Menschen sollen Lernen disruptiv zu denken. Die meisten Mitarbeitenden sind aktuell keine Digital Natives, sie sind zum Teil sehr analog erzogen worden. Und die muss man auf den Weg mitnehmen. Ebenso meine Generation, die schon digitaler ist, aber längst nicht so wie die ganz Gen Z.

Man sollte Freiräume schaffen und die Leute in den kreativen Prozess gehen lassen. Das fehlt heute noch total. Heute liegt der Fokus in vielen Organisationen mehr bei der Produktivität als bei der Innovation. Das ist auch etwas, das mir Oliver Gassmann beigebracht hat, wie viel Innovation zum Erfolg des Unternehmens beiträgt. Für das braucht es Smart Employees und smarte Arbeitgeber.

Für viele Städte ist die Smart City ein Zukunftsziel. Welche drei Dinge sind Deiner Ansicht nach elementar und müssen zuerst umgesetzt bzw. angestossen werden?

Es braucht eine Kultur der Digitalisierung. Dann folgen klassisch Struktur und Prozesse – und ein Kulturwandel, der dann die Freiheiten zum disruptiven Denken gibt. Smart wird häufig mit digital gleichgesetzt – davon distanziere ich mich, weil ich glaube, dass Digitalisierung nicht alles ist. Es sollte keine Digitalisierung zum Selbstzweck geben. Man sollte frei denken können, wenn nachher alles nur digital ist, ist das auch zielführend.

Es gibt auch analoge Prozesse, die Sinn machen. Am Schluss muss es einen Mehrwert für die Öffentlichkeit, für die Bevölkerung geben. Man sollte immer wissen, was der Kunde braucht. Das ist in der Verwaltung zum Teil für jeden etwas oder jemand anderes.

Und nicht zu vergessen: Optimalerweise werden die Mitarbeitenden zu den Botschafterinnen der Smart City, indem sie die Bedürfnisse ihrer Kunden kennen und wissen, wofür sie arbeiten. Dies können Sie aber nur, wenn sie das grosse und Ganze sehen. Oder um es mit einer Metapher auszudrücken; Sie sollen verstehen, dass Sie Steine für eine Kathedrale klopfen.

Du bist aktuell als Leiterin HR-Bereich Heime und Spitex der Stadt Uster tätig. Inwieweit ist das Konzept Smart Employee und Smart City Teil Deines Berufsalltags?

Mich hat das sehr inspiriert und ich arbeite täglich mit meinem Team daran, das Thema Digitalisierung anzugehen. Es ist das übergeordnete Ziel, das wir alle haben und ich versuche, im Alltag kleine Dinge umzusetzen. Cool ist zu sehen, wie die Organisaiton versucht die Innovation der Mitarbeitenden zu fördern. So haben beispielweise die Heime Uster Kaizen-Boards in den Büros installiert, auf welchen Ideen niederschwellig aufgeschrieben werden können. Das geht genau in die richtige Richtung.

Spannend war für mich auch die Erkenntnis, dass sich das Wissen auch auf die Privatwirtschaft anwenden lässt. Es mag zwar Smart City heissen, aber das Problem gibt es auch in der Privatwirtschaft und an ganz vielen anderen Stellen. Ich freue mich darauf, das Projekt anzugehen und viele Freiräume zu schaffen zum disruptiven Denken.

Gibt es ein Kapitel, das Du mit Deiner Erfahrung in der Umsetzung umschreiben würdest? Oder ergänzen? Wenn ja, welches und warum?

Das ist eine spannende und schwierige Frage. Was ich mir gewünscht hätte, wäre noch mehr Mitarbeitende ins Boot zu holen. Wir haben in der Umfrage einen starken Einfluss von Führungskräften gehabt. Es war valide, aber die Desk Worker bei Spitex oder in den Heimen, bei denen die Digitalisierung auch ein sehr grosses Thema ist, da hätte ich gerne noch mehr Leute ins Boot geholt. Generell hätte ich gerne noch weiter geforscht! Auch eine Ausweitung auf die Organisation, die Stadt, die Unternehmen, die da sind – da ist eine grosse Schwarmintelligenz vorhanden. Und das dann wiederum mit den Bewohnenden der Stadt, mit der Gesellschaft zu spiegeln und die Frage zu klären, ist es das, was ihr euch wünscht? – das finde ich total spannend.

Jeder versteht auch etwas anderes unter Digitalisierung. Für den einen heisst dies, dass man einen Drucker bedienen kann, für den anderen bedeutet dies, dass man nur mit Scrum arbeitet. In der Bevölkerung gibt es unterschiedliche Level an Digitalisierung und diese müssen wir genauso abbilden, wie wenn man einen diversen Querschnitt durch die Bevölkerung macht.

Kommen wir nochmals auf den Smart Employee zurück. Provokativ gefragt: Sollte jeder Smart Employee einen EMBA an der HSG absolvieren? Oder eben nicht?

Bewusst provokativ geantwortet: liebe HSG, ein klares Nein! Aber: Primar- und Sekundarschule, Schulen für Lernende, Gymnasien, Universitäten…einfach alle Bildungseinrichtungen können und sollten disruptives Denken lehren. Wir haben das heute zum Teil schon in den Grundschulen, dass sie digital und innovativ denken. Und es ist gut, dass es so früh anfängt. Wenn dieses Denken erst im EMBA gelehrt wird, ist das zu spät und man müsste sich wirklich Sorgen um den Wirtschaftsstandort Schweiz machen. Heute wird smart eher mit digital assoziiert, in zehn Jahren ist smart sehr wahrscheinlich etwas ganz anderes. Und dieses ganz andere werden die heutigen Kindergarten-Schülerinnen definieren.

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